Das Wort steht über allen Regeln

In einer bescheidenen Stadt, die davon träumte, den Ehrentitel "die langweiligste Ecke der Welt" zu gewinnen, aber in diesem Maßstab immer dem nächsten Dorfladen unterlegen war, lebte ein selbsternannter Verfechter der Moral namens Sir Nestor. Fest davon überzeugt, dass das Heil der Welt in den zehn strengen Geboten der universellen Moral für alle liegt, betrachtete er es als die heilige Pflicht eines jeden Menschen, diese Regeln wörtlich zu befolgen. Tief in seinem Inneren glaubte Sir Nestor, dass die Menschen sich nur durch die strikte Einhaltung dieser Vorschriften vor dem Bösen und dem Chaos schützen könnten.

Nachts ging er mit einer Taschenlampe in der einen und einem kleinen Buch in der anderen Hand von Haus zu Haus und flüsterte in einem verschwörerischen Ton: "Es gibt zehn Regeln, und du musst sie lernen, sonst wird das schwarze Böse uns alle verzehren." Die Stadtbewohner, die durch das grelle Licht geweckt wurden, blinzelten verwirrt und fragten sich, ob es nicht einfacher wäre, sich einfach hinzusetzen und alles auf menschliche Weise zu diskutieren.

Aber Sir Nestor war so eigensinnig wie eine Bulldogge, die sich an einen geliebten Knochen klammert, und Versuche, mit ihm in einen Dialog zu treten, scheiterten an seinem unerschütterlichen Glauben an den einzig richtigen Weg.

Er rief sogar alle Bewohner in den Kulturpalast – ein majestätisches, wenn auch schäbiges Gebäude, das des nicht enden wollenden Ansturms der Netflix-Serien überdrüssig war – um die "Großen Wahren Regeln" zu verkünden. Als der Saal wie vor einem Sturm in Halbdunkel und Stille getaucht war, rief Nestor aus: "Bleibt stehen! Ich werde dir jetzt die Essenz der reinen Güte offenbaren!" Bis ein sechsjähriges Mädchen mit zwei lebhaften Pferdeschwänzen die Hand hob und fragte: "Beginnt Freundlichkeit nicht mit Gesprächen und Respekt?"

In diesem Moment schien etwas im Publikum zu platzen: Das Licht flackerte, als würde man sich plötzlich daran erinnern, dass es höchste Zeit war, sich zur Ruhe zu setzen. Auf der Bühne zeigte der staubbedeckte Artefaktspiegel – der "Magie demonstrieren sollte, die niemand sehen wird" – plötzlich eine Szene: Die Stadtbewohner plaudern leise, verwöhnen sich gegenseitig mit selbstgebackenen Keksen und hören aufmerksam zu. Diese Schüsse durchzuckten Sir Nestor wie eine Schockwelle. Er errötete wie ein gebräunter Trinkspruch und gestand sich ein, dass keine eisernen Regeln funktionieren würden, wenn sie ohne Rücksicht auf die Hoffnungen und Zweifel der Menschen auferlegt würden.

In diesem Augenblick hatte Sir Nestor das Gefühl, daß etwas in ihm zerbrach. Er lernte, dass man manchmal ein gewichtiges Regelwerk beiseite legen und einfach mit den Menschen um sich herum reden muss, um herauszufinden, was ihnen Angst macht, was ihre Träume nährt und warum sie die sogenannte universelle Moral in Frage stellen. Nachdem er sich die Probleme seiner Nachbarn angehört hatte, erkannte er, dass ihre Erfahrung und ihr Wissen nicht weniger wertvoll waren als die kostbaren Seiten seines Handbuchs. Die Menschen in der Stadt, erschöpft von seinen nächtlichen Anweisungen, atmeten schließlich erleichtert auf: "Danke, jetzt können wir wie echte Menschen sprechen!"

Sir Nestor senkte den Kopf und fühlte eine leichte Verlegenheit, als er sich für seinen übermäßigen Eifer entschuldigte. Er sah, dass jeder bereits seine eigene innere Richtung hat, und ein paar freundliche Worte, die zur richtigen Zeit gesprochen werden, können einen ganzen Berg von Ratschlägen aus jedem Buch "FÜR ALLE OHNE AUSNAHME" überschatten. Zunächst einmal erkannte er mit einem Lächeln, dass Schulter an Schulter zu stehen jede Last leichter und Momente viel glücklicher macht, nicht wahr?

Beliebte Artikel

Das Wort steht über allen Regeln