Das Geheimnis der vollkommenen Einsamkeit: Die Geschichte von Lenora und dem Sturm

Manchmal sind die Stürme in unserem Inneren so heftig wie draußen vor dem Fenster, wo der Wind heult und der Regen unerbittlich strömt, obwohl kein einziges Merkmal auf dem Gesicht zusammenzuckt. So fing alles an jenem besonders stürmischen Abend an, an dem tosende Windböen versuchten, alles wegzufegen, was nicht fest verklebt war. In ihrem winzigen, schrankartigen Büro ging Lenora fieberhaft zwischen den Stapeln gekritzelter Papiere im unsteten Licht der Kerzenasche hin und her. Sie war sich sicher, dass es irgendwo ein Geheimnis der wahrhaft heiteren Einsamkeit geben musste, und schon gar nicht im nächsten Rezept für den Olivier-Salat. Höchstwahrscheinlich versteckte es sich zwischen den Zeilen des Buches "Kochen für Introvertierte" oder war auf dem Pergament eines alten Manuskripts verschlüsselt.

Nachbarn glaubten, dass Lenora vor lauter Einsamkeit und ewigen Streitereien mit einer roten Katze, deren Schreie durch die Wand zu hören waren, völlig den Verstand verloren hatte. Der Kater hieß einst Grief, aber eines Tages ließ sich Lenora inspirieren und taufte ihn in Mustard um - er hätte sicherlich etwas dagegen, wenn er wie ein Mensch sprechen könnte. Aber kein Klatsch berührte Lenora: Sie verfügte über ein ganzes Arsenal großer wissenschaftlicher Pläne. Sie hängte ein Schild mit der Aufschrift "Betreten verboten (außer Pizza)" an die Tür, deckte die Fenster mit fünfhundert Schichten Vorhängen ab, installierte Drahtfallen, eine Alarmanlage und einen klappernden Topf, um ihren "versteckten Ort des Genies" vor ungebetenen Gästen zu schützen. Nachts murmelte sie endlos im Dunkeln und suchte nach dem geliebten Rezept, bei dem Einsamkeit nie in völlige Isolation verwandelt wird. Zu diesem Zeitpunkt gähnte die Katze Senf vor tiefer Sehnsucht an dem Stapel alter Postkarten vorbei, als wollte sie andeuten: "Na, schreib wenigstens jemandem eine Zeile?"

Die Nachbarn fragten sich, wie sie zu ihr durchdringen konnten. Jemand bot ihr an, sie per Videoanruf anzurufen, aber ein anderer antwortete vernünftigerweise: Das Telefon war höchstwahrscheinlich unter einem Stapel Kisten vergraben, also war es vielleicht die beste Option, ihr einen Kuchen vor der Tür zu lassen. Doch alle Versuche scheiterten an den Betonmauern ihrer Selbstisolation: Weder Vorwürfe, noch Geschenke, noch herzliche Grüße konnten ihre Festung durchbrechen.

Und dann geschah etwas – entweder ein Unglück oder ein Wunder. Während eines Regengusses, als der Blitz fast in den ständig pfeifenden "tückischen" Wasserkocher einschlug, hob sich Lenoras Büro plötzlich vom Boden ab. Mit einem lauten Krachen zerbarst der Balken, die Bücher flogen an die Decke, und Lenora schrie so laut, daß die Katze Senf ihr mit einem klagenden Heulen von bis zu drei Oktaven antwortete. Alles wirbelte in völligem Chaos durcheinander, und Lenora, die das Manuskript »Wie man die Leute mindestens hundert Meter fernhält«fest umklammerte, begriff plötzlich, daß ein solcher Schlag noch einmal und ihre Festung der Einsamkeit mit ihr und dem armen Senf in die stürmischsten Wolken fortgerissen werden würde.

Sobald die Nachbarn das Knistern von Balken und verzweifelte Schreie hörten, stürzten alle in den Hof: einige mit einem Regenschirm, andere mit Seilen, und einige einfach nur aus Neugierde, um sich die "fliegende Speisekammer" anzusehen.
"Seile hier!" schrie der Beweglichste. "Lenora, halte dich an uns fest!"
Lenora, die darauf bedacht war, auf dem guten alten Boden zu bleiben, hatte keine andere Wahl, als dem Ruf zu folgen. Gemeinsam stellten die Nachbarn das Büro wieder an seinen Platz und zogen vorsichtig Lenora heraus, um die sich ihre Manuskripte wie ein Spinnennetz rankten.

"Ist alles in Ordnung?" Ein erschrockener Chor erhob sich von allen Seiten.
"Vielleicht etwas Tee?" schlug eine freundliche Frau aus dem dritten Stock vor und hielt einen durchnässten Regenschirm an ihrer Seite.

Einen Augenblick lang erstarrte Lenora, begegnete den Augen des argwöhnischen Senfs und antwortete:
"Lass uns ... Ich würde es gerne versuchen.

"Lass uns ... Ich würde es gerne versuchen", wiederholte Lenora und erinnerte sich an ihre Worte, als Nachbarn – von der winzigen Nichte in der Wohnung auf der anderen Straßenseite bis zum mürrischen alten Mann oben – sie in einem fürsorglichen Kreis umringten. Sie brachten Decken mit, schenkten ein warmes Lächeln, und plötzlich schien ihre ganze Philosophie in Bezug auf vollkommene Einsamkeit eine Kleinigkeit im Vergleich zu einfacher menschlicher Teilnahme zu sein.

Als der Morgen kam und das Tosen des Sturms einem leisen Tropfen vom Dach wich, sortierte Lenora die feuchten Laken auf dem Tisch. Einer von ihnen, ein besonders aufmerksamer Blick, lautete: "Selbstgenügsamkeit blüht auf, wenn man weiß, wie man allein ist, aber sich nicht vor anderen verschließt." Sie erstarrte, als ob in ihrem Inneren eine Glühbirne aufleuchtete. Vielleicht sind Einsamkeit und Kommunikation gar keine Feinde? "Was, wenn ich wirklich jemanden zum Tee einladen möchte?", war sie überrascht, als sie eine Leichtigkeit hinter sich bemerkte, ähnlich dem Geschmack eines längst vergessenen Kuchens, der seltsamerweise immer noch süß war.

Die Katze Mustard, die die Veränderung spürte, schnurrte zufrieden: es schien, als würden sie jetzt öfter fressen, und das Haus würde aufhören, bei jedem Windstoß zu knarren und zu stöhnen. Die Nachbarn atmeten erleichtert auf: Sie würden endlich an Lenoras Tür klopfen können, ohne befürchten zu müssen, um Hilfe rufen zu müssen. Und sie verriet das einfachste Geheimnis: Um sich wirklich unabhängig zu fühlen, muss man manchmal eine ausgestreckte helfende Hand annehmen. Seitdem hat ihre sogenannte ideale Einsamkeit ein menschliches, warmes Gesicht bekommen.

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